Sami Berdugo
Sami Berdugo wurde 1970 als Sohn marokkanischer Einwanderer in Israel geboren, hat an der Hebräischen Universität Jerusalem Literatur und Geschichte studiert und bisher zwei Romane und zwei Erzählungsbände veröffentlicht. Se ha-Dvarim (Das sind die Dinge), Hakibbutz Hameuhad, TelAviv 2010, 322 Seiten, ist sein zweiter Roman. Er schildert darin acht Tage, in denen er seiner Mutter, die 1948 aus Marokko eingewandert ist, Lesen und Schreiben beibringen möchte und dabei viel aus ihrem Leben erfährt. Mit Sami Berdugo ist ein interessanter junger Schriftsteller für den deutschen Buchmarkt zu entdecken. Die nachfolgende Leseprobe gibt die ersten Seiten, 9-14, wieder.
Agentin: Nilli Cohen, The Institute for the Translation of Hebrew Literature, E-mail:
litscene@ithl.org.il
Das sind die Dinge
1. Planspiel
Erste Lektion
Noch zu ihren Lebzeiten warte ich auf ihren Tod.
Sie hält vor den Stufen zum Haus inne und möchte ausruhen. Ich stehe hinter ihr und bereite mich auf die Dinge vor, die sie erwarten. Sie spürt mich nahe und setzt einen Fuß auf die erste Stufe, kommt schwerfällig voran und hält sich am grünen Geländer fest. Das Eisen kommt ihr wacklig, unterdrückt aber das Knarren. Ich sehe ihr vom Fuß der Treppe zu, wie sie zur geschlossenen Tür hinaufsteigt. Sieben Jahre wohnt sie nicht mehr in diesem Haus. Ich habe einen Schlüssel, sie nicht. Hier kann sie sich nicht mehr weigern. Ich habe sie aus dem Altenheim geholt. Acht Tage Urlaub hat man mir bewilligt. „Warum nicht mehr?“, fragte ich die zuständige Schwester, und sie verwies mich an den behandelnden Arzt. „Nicht ratsam lange Zeit ohne Aufsicht“, antwortete er mir. „Aber es geht ihr doch gut, oder?“, wollte ich wissen. „Sie ist nicht so alt, eine gesunde Frau.“ Und er nickte nur.
Ich habe schon lange begriffen, dass sie mir entzogen ist, aber jetzt sind wir endlich an dem Punkt angelangt, an dem wir die Arbeit angehen können. Auch eine Woche kann uns genügen. Die Aufgabe ist schwer, und mein Bauch ist angespannt. Ich habe mich aus meiner alltäglichen Umgebung gelöst, die Stadt im Norden verlassen, und meine ernste Absicht hat mich hierher geführt. Ich bin bereit für die Investition, denn es kann nicht sein, dass unsere Sache nicht gelingt. Keine Logik und keine Seele werden uns abhalten, uns den schlichten Lebensatem abschneiden. Man muss ihr Grundwissen ausloten, muss unbedingt zu ihm vordringen, es aus ihr zutage fördern. Dieser Wille nimmt mich ganz gefangen, hat meine Kräfte schon aufgezehrt und versucht nun, meine Seele zu lähmen, mich unter die Erde zu bringen und mir das Recht zu nehmen, einem Menschen ähnlich zu sein. Und sie? Was ist sie? Ich sehe sie beinah schwanken vor Anstrengung und schweigen, das Gesicht zur Tür. Lebt sie überhaupt? Ist sie für diese Welt geboren?
Es sind nicht ihre letzten Tage, aber die Pulse meines Kopfes spüren die Geh-Zeit bis zum Ende. Sie wartet, dass ich zur Türschwelle aufhole. Dort drinnen erwarten uns die Dinge. So, nun bin ich mit ihr vor der Haustür angelangt, und sie erkundigt sich nicht, was das zu bedeuten hat. Den ganzen Herweg hat sie fast nichts gesagt. Hat aus dem Autofenster in die gelbe und grüne Landschaft geschaut, die die Verbindung zu unser beider Einst bewahrt. Vielleicht gab nur das ihr Befriedigung, vielleicht erfüllte nur diese törichte Beschränkung ihr Inneres, als ihre Augen zwei Farben erblickten und sie keine weiteren Grundlagen wissen wollte.
So verbringt sie ihre Jahre, auch ohne mich auszuloten. Aber jetzt naht der Wendepunkt. Ich habe sie nicht auf die Aufgabe vorbereitet. Hatte sie lange nicht mehr gesehen. Vier Jahre mag es her sein, dass ich die Eingangshalle ihres Altenheims aufsuchte und sie aus ihrem Zimmer zu mir herunterkam, mit der Gelassenheit und Vitalität einer nicht alten Frau. „Ich komm hier zurecht, das ist alles fast neu hier“, sagte sie zu mir und wollte, dass wir uns draußen auf die Bank setzten, auf das schmale, rechteckige Rasenstück dort. Vielleicht würde man uns sogar einen Tee bringen, sagte sie. Ihr Kopf ging dauernd nach rechts und nach links, keine Sekunde sah sie mir gerade in die Augen, und am Ende war sie enttäuscht, dass wir allein im warmen Schatten blieben, ohne Tee und ohne Menschen.
Heute habe ich ihr noch nichts gesagt. Hab nichts angedeutet von wegen Unterricht und der ehernen Kraft, die sich in mir erhärtet. Diesmal kann sie sich nicht weigern, nicht wieder. Ihre Absichten haben sich selbst erledigt, und ihr Stand in diesem Haus ist verflogen. In meiner Handtasche ruht der Schlüssel. Daneben die Packung Filzstifte, die ich letzten Freitag in einem Schreibwarenladen im Stadtteil Hadar gekauft habe. Gut in ihrer Vakuumverpackung aus Plastik eingeschweißt, warten sie darauf, herausgeholt und gebührend benutzt zu werden. Drei Farben in zwei Sets: Rot, Blau und Schwarz. Jede Farbe hat ihre Bestimmung: Schwarz für die „Regeln“, Blau für die „Treffer“ und Rot für die „Fehler“. Das ist die ganze Lehre. So muss man von Anfang an vorgehen, wie ein Baby das Wachsen angeht. Eine andere Geburt ist vor fünfundsechzig oder mehr Jahren passiert, und vor vierzig Jahren, und jetzt muss man beide unbedingt neu beleben, auf eine angemessene Weise, die einem guten Menschen und Land ähnlich sieht.
In der einen Hand trage ich ihren roten Koffer, in der anderen eine mittelgroße, weiße Tafel, die man mir im Schreibwarenladen empfohlen hat. Ich hebe die Tafel an und setze einen Fuß auf die erste Stufe, schleppe den Koffer, steige mit Leichtigkeit weiter, nähere mich ihren versiegenden Atemzügen. Sie dreht sich nicht nach mir um, und ich wälze den Plan im Kopf. Sonntag bis Sonntag. Das sind die Tage, die wir haben. Gleich wird es zwölf Uhr mittags. Plötzlich hört man Schrittgeräusch. Ich drehe mich um und mustere die Reihe schütterer Sträucher, die unser Grundstück begrenzen. Offenbar geht jemand dahinter entlang. Ich wusste nicht, dass im Haus gegenüber jemand wohnt. Jahre hat es leer gestanden, und die Gräser waren mächtig ins Kraut geschossen. Jetzt haben die Sträucher noch weniger Blätter, und doch können sie verbergen. Sie reagiert nicht auf das Geräusch, das langsam verklingt. Ich ersteige die letzte Stufe und bleibe hinter ihr stehen.
„Rück mal eben“, sage ich und greife in die Handtasche.
Sie drückt sich an die kratzige Wand, und ich schlängele mich zur Tür vor. Der Schlüssel dringt schön glatt ein, lässt ein Klicken und noch eins vernehmen, öffnet die feste Verriegelung eines Häuschens mit drei kleinen Zimmern, die aus Mischgestein locker errichtet sind. Dort drinnen hat die Welt für uns noch nicht angefangen. Die Stahltür schwingt ihren Flügel nach innen, und ein undefinierbarer Wind weht mir ins Gesicht, vielleicht auch ihr, legt sich aber gleich wieder, und ein schwerer, stickiger Geruch löst ihn ab, lässt mich am Eingang verharren. In diesen ersten Sekunden sehe ich noch nicht die Einrichtung, und die Himmelsangst verlässt mich. Und sie ist so sehr neben mir, ihr Kleid berührt mich, sie schweigt und möchte schon drinnen sein, sitzen, ausruhen, und in meinem Innern läuft die vertraute Entdeckung, mein Bauch erkennt alles, was hier abgelaufen ist, immer nur mündlich, und ich repetiere mein einziges Gebot, meine alleinige Pflicht für die nächsten Tage. Nur hier wird die Auferstehung ihren Ausgang nehmen.
Wir stehen am Eingang. Schwer zu glauben, dass dies der Ort ist. Dass hier unser wichtiger Bereich liegt. Vor mir habe ich den Rahmen, die Wände, die uns eingrenzen, von draußen trennen werden. Die Schreibtafel liegt mir schwer in der Hand. Sie, die mir nahe ist, bricht nicht zusammen, sondern hält fast eine geschlagene Minute inne, die Beine standfest auf der Schwelle. Aber das Zittern ihres Körpers hinter mir verebbt und legt die abgedroschenen Lügen frei. Mein Rücken verbirgt ihr alles, was meine Augen sehen, auch wie sie die Gegenwart eines ungelüfteten Moments erfassen, hinter den Lidern Bilder von damals horten, die sich zur Mitte des Schädels durchbohren, zusammenhängende Szenen und Situationen mitnehmen. Aber das alles hat jetzt keinerlei Bedeutung, auch nicht in den kommenden Stunden und Tagen. Zum ersten Mal im Leben tue ich das, begrabe Kind, Jüngling und Mann in der Tiefe, überdecke Monate und Jahre und vertraue auf meine persönliche Wissenschaft, auf deren exakte Kraft, die in mir Gestalt annahm, ehe ich mit ihr hier hergekommen bin.
Die dumpfe Stille treibt mich voran. Ein Schritt und ich bin in dem kleinen Wohnzimmer, inmitten der wenige Meter großen, trübweiß und dunkelgrau gefliesten Freifläche. Ich stelle die Tafel auf den Boden, lehne sie an die braune Kommode gegenüber dem grünlichen Sofa. Und sie ist hinter mir, umgeht den Koffer und hält ihren Einzug, macht vier schnelle Schritte und sinkt gleich aufs Sofa, spreizt die Arme ab und atmet tief aus. Das Licht, das der Laden einlässt, bringt erste Störung. Ich fasse nach der Tür, mache sie zu, schließe ab und wende mich dem Raum zu.
Wir sind beide da. Ihr Kopf ist nach hinten gesunken, überragt die niedrigen Kissen, die noch vom Gewicht armseliger Jahre zerdrückt sind, abgesackt wie diese. Ihre Augen sind weit aufgerissen, ihr Atem beruhigt sich, ihre Beine sind ausgestreckt, ihre schwarzen Schuhe schnüren das geschwollene Fleisch ab, die braunen Kniestrümpfe sind bis zur Wadenmitte herunter gerollt. Von ihren Schuhen verläuft die Linie weiter über den Fußboden und hoch zu meiner Taille, was neunzig Zentimetern eines Kindes auf ungesichertem Territorium entspricht. Hier in der Ecke steht immer noch der Esstisch mit den dünnen Beinen, an denen die abblätternde, grüne Kunststoffbeschichtung den Rost freilegt, der ewig krümelt und immer wieder die Putzlappen verziert, daran kleben bleibt und unbedingt im Gedächtnis haften will.
So erkenne ich an den Möbeln unseren Stillstand. Sie übermitteln mir weiterhin lautlos Wörter. Ringsum liegt der Hauptbereich, vier Quadratmeter, die ihre Ausläufer in die schmuddelige Küche und die zwei dünnwandigen Zimmerchen erstrecken, das eine mit einem Einzelbett, darauf eine dünne Doppelmatratze und darüber ein rauer, dunkelblauer Überwurf mit rot-gelben Schmuckstreifen längs und quer – und das andere Kämmerlein ist ihr ewiger Raum. Über uns die Zimmerdecke, niedrig genug für unsere nicht hohen Reden und dabei alle Geräusche dämmend. Eine nicht sehr weiße, ziemlich wellige Decke, durchbrochen von einem langen Riss zwischen Wohnzimmer und Küche. Sie verhehlt den Riss nicht, aber der weigert sich bis heute, Zeugnis für ein Erdbeben abzulegen, das es hier mal gegeben hat, als lösche er eigenhändig alte Chroniken häuslicher Geologie.
Uns fehlt Licht, mir fehlt Luft. Ich öffne den Laden des einzigen Wohnzimmerfensters, das hier seine so untergeordnete Funktion erfüllt, uns verschlossen in subelementarer Geometrie, ein Loch mitten in der Wand, nur mit Mühe durch die kleine, weiße Spitzengardine verdeckt. Sie sitzt immer noch hingestreckt auf dem Sofa und schaut in ihre schwarze Handtasche, die neben ihr liegt. Darin gibt’s nichts zu suchen, alle Hausnutzungen stehen mir zur Verfügung. Die Führung obliegt mir, und ich erteile die Anweisungen. Auf Gardinenhöhe befindet sich eine Steckdose, in dem eine monströse Steckdosenleiste steckt, teils verkohlt und voll mit Staub, und davon kriechen Stromkabel verschiedener Dicke in Weiß und Schwarz und Beige und Grau, zu einem unentwirrbaren Knäuel verschlungen, hinter der Kommode entlang. Unter der Steckdose ist schlampig der Lichtschalter angebracht. Er hängt halb aus der Wand und wackelt, als ich ihn drücke.
Da, mit einem Schlag wird das Haus hell. Der Ort hat sich uns aufgetan. Mattes Gelb erleuchtet uns und die Wände, umreißt in seiner Schwäche das Muster des kommenden Aufenthalts, markiert mir das Arbeitsfeld und das Beste, das man daraus machen kann. Sie hebt den Kopf, richtet sich im Sitzen auf und sieht mich an.
„Was? Was ist los?“, frage ich sie nicht wirklich und gehe an die Wand mit dem Sofa. Nähere mich ihr und schalte die weitere Leuchte über ihr an.
Weiß mischt sich mit Gelb, und der Raum ist greifbar für meinen Körper, auch für ihren Körper, der zur Ruhe kommt, die Gelassenheit des Kreislaufs annimmt, der noch vor drei Stunden in Aufruhr geraten war – gerade als sie mit mir das Altenheim verließ und nicht begriff, warum und wohin ich sie abholte. Und den ganzen Weg über, auf der Fahrt hierher und dem Gang bis zur Haustür, hat sie geschwiegen. Sie zieht den einen Fuß aufs Sofa und antwortet nicht auf meine Frage. Jetzt schaut sie auf die Tafel. Ihre Augen verengen sich, versuchen den Gegenstand zu erfassen, seine Form und Größe, den Raum, den er, angelehnt, aber stabil, im Wohnzimmer des Hauses einnimmt, gut zwei Meter vor ihrem Gesicht. Ja, jetzt ist die Tafel ein Teil von uns, ist hier, um in ihr Gehirn einzudringen, in ihre schlummernden Wissenskanäle, in denen sie zu lange verharrt ist. Fast ihr ganzes Leben lang.
Bisher hatten wir alle Dinge im Vorzustand. Die Kleider waren ausgeleierte Klamotten, solche, die nach und nach auseinanderfallen, aber nie außer Gebrauch kommen. Sachen zweiter und dritter Wahl wurden gestapelt, gefaltet, aufgerollt und später zerschnitten und in eine blaue Plastikschale gelegt, die sich sicher noch in einem der Zimmerchen befindet. Gelegentlich rieselte Staub aus den losen Fäden. Und so glich unsere Kleidung der Nahrung, die wir einst beide aßen, dem weißen und dem schwarzen Einheitsbrot, der Margarine und dem Senfaufstrich, die es hier am Ortsrand zu kaufen gab, in dem düsteren Kramladen mit dem Schimmelgeruch und den Holzregalen und dem Pergamentpapier, in das das graue Halva eingeschlagen wurde – das einzig richtig Süße von einst, das auf unseren Zungen schmolz und in unseren wachsenden Körper einging, unseren Körper, dessen nackter Anblick nur hier Bewunderung erregen konnte , hervorragend geeignet, sich den Grenzen dieses kleinkarierten Häuschens anzupassen.
Doch gemessen an der üblichen Größe und der normalen Länge der Gliedmaßen waren wir immer noch zurückgeblieben, nicht wirklich gut entwickelt, keine Prachtexemplare. Und so waren auch die Berührungen zwischen uns auf dem Weg von einer Kammer zur Küche und von da zu der blätternden Badestube, die ich in der Ecke sehe. Und schon weiß ich wieder, dass hinter der Holztür, die unten aufgequollen ist und beim Öffnen und Schließen klemmt, die Luft und der Geruch unsichtbaren Schimmels stehen, für immer gesättigt mit den Dünsten von Körperflüssigkeiten und dem Wasser aus dem dünnen, nackten Eisenrohr, das sich wie eine nicht listige Schlange vor den Augen der Duschenden schlängelt, die wir einst waren. Und ich weiß auch, dass das Wasser, das dort unverwandt vor sich hin tropft, dem menschlichen Gleichmut spottet und die fallenden Tropfen dunkle Flecken auf die gestrichene Wand malen, als eroberten sie sich immer weitere Landstriche auf einer feuchten Weltkarte.
Alles war bei uns im Vorzustand, allen voran die Wörter. Sie besonders markierten uns vor der Startlinie – eben die Wörter, die ich mit der Zeit nur teilweise lernte. Vielleicht hätte ich anders können, aber immer stoppte mich eine schreckliche Kraft kurz vor der Mitte. Nie gelang es mir, in der Tiefe der Wörter Wurzeln zu schlagen, in ihrem historischen und sprachlichen Fleisch, ihrem ursprünglichen Bedeutungsgehalt, den die Erklärung im Lexikon so einfach schildert. Und kurz nach dem zwanzigsten Lebensjahr kam mir schlagartig eine Erkenntnis, die mir das Schlimmste grell vor Augen führte: Obwohl ich etwas gelernt hatte, waren wir im Grunde beide ohne den Stoff der Buchstaben und existierten daher nicht wirklich.
Deshalb bin ich endlich hier, mit ihr und allem, was wir brauchen: begrenzter Zeit, einer Tafel und Schreibzeug. In meinen Beinen macht sich die Anstrengung bemerkbar. Seit dem Morgen sind sie nicht zur Ruhe gekommen. Ich verließ meine Wohnung in der Stadt und fuhr zu ihr, stand zwanzig Minuten an der Empfangstheke des Altenheims und sah den Blick der gelockten Schwester, deren Augen ihr Misstrauen kaum verhehlten. Und als sie herunterkam, nahm ich ihr den roten Koffer ab, den sie gepackt hatte, und hastete zum Auto, wo die Beine ebenfalls nicht ruhten, und jetzt kann ich mich immer noch nicht setzen. Sie ist auf dem Sofa, zu meiner Linken ein schmaler Sessel, zu nahe bei ihr, und dazwischen, im freien Rund, nur der Fußboden. Hier werden wir mit den Dingen anfangen. Es sollten keine neuen Hindernisse auftauchen. Und diese leere Mitte werde ich schon zu füllen wissen. Diesmal mit ihr, nicht anders. Nur mit ihr und durch mich werden wir hier Erfolge erzielen.
Sie stellt den Fuß zurück auf den Boden. Ihr Gesicht wirkt frischer. Ich nehme die Tafel und stelle sie auf einen Stuhl in der Essecke. Ich sehe sie, aber ihre Augen sind in meinem Rücken. Ich zerre den Stuhl mit der Tafel bis vor die Kommode, gegenüber dem Sofa, vor sie hin.
Da habe ich ein Klassenzimmer, fast fertig. Wände ringsum, eine Sitzgelegenheit und zwei, die wollen. Ich habe den Lehrplan nicht niedergeschrieben. Nicht nötig. Ich habe ihn im Kopf. Das Muster ist einfach, gut für jeden Anfang, grundsätzlich und im Detail, immer richtig, gültig für jede Ära und für jeden Menschen. Ich stehe in Begriff, es umzusetzen, und bemühe mich, nicht an den trügerischen Ernst des Schicksals zu denken und an seine Anstrengungen, mich vom Weg abzulenken, mich mit seelischen Verlockungen zu Fall zu bringen, meinen erkrankenden Bauch in Aufruhr zu versetzen.
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama